Briefe an die Fraktionen
Sehr geehrte Damen und Herren,
verehrte Vorsitzende der Bundestagsfraktionen,
mittlerweile ist die UN–Behindertenrechtskonvention seit über 13 Jahren in Deutschland
ratifiziert, dennoch scheint „echte Teilhabe für Menschen mit Behinderungen in Deutschland
keine Lebensrealität“, wie es der FDP–Politiker Jens Beeck treffend in einer Pressemitteilung
vom 25.03.2021 zum Ausdruck gebracht hat. Er merkte schon damals bereits an, wonach „viele
Regeln des Bundesteilhabegesetzes nicht praxistauglich [sind] und Vorgaben zur Barrierefreiheit
einfach ignoriert [werden]“. Aus Sicht der Liberalen mahnte er vor einem Jahr entsprechend an:
„Es besteht dringender Handlungsbedarf“.
Dies sieht auch der Allgemeine Behindertenverband in Deutschland (ABiD e.V.) so, weshalb wir
heute an Sie herantreten möchten. Aus Sicht als Interessenvertretung behinderter Menschen
bedarf es dringend der Einsetzung einer Enquete–Kommission, die die Ansprüche für Personen
mit Handicap in ein realitätsnahes, barrierefreies und nachvollziehbares Gesetzeswerk umformt
und damit die Leitsätze aus der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in eine
nationale Rechtslage überträgt, die dann auch Anwendung im Alltag der behinderten Menschen
finden kann. Denn die Durchsetzung von Anrechten ist für sie auch weiterhin eine enorme
Kraftanstrengung, weil die Unterschiedlichkeit der Ansprechpartner in der föderalen Struktur des
Bundes eine erhebliche Hürde darstellt, Rechtsbeihilfe nur schwer zugänglich ist und
Gesetzestexte für sie unverständlich bleiben.
Eine Enquete–Kommission soll als überparteiliches Arbeitsgremium die unterschiedlichen
Aspekte einer Herausforderung aus verschiedenen Blickwinkeln rechtlich, politisch, lobbyistisch
und ethisch betrachten – und anschließend in einer gemeinsamen Konsensfindung Lösungen
erarbeiten, die zu einer legislativen Beschlusslage für die jeweiligen Parlamente führen. Im
vorliegenden Fall bedeutet dies, die Inhalte der Konvention der UN gemäß ihrer Intention in
nationalstaatliche Gesetzgebung einzubinden. Diese Mammut–Aufgabe benötigt einer solchen
Kommission, weil die Komplexität der Sachlage einer überfraktionellen Übereinkunft bedarf, die
von einer großen Mehrheit des Deutschen Bundestag getragen wird und obendrein der fachlichen
wie moralischen Verantwortung in der dargebotenen Anforderung gerecht wird.
Insbesondere scheinen uns drei Gebiete von wesentlicher Bedeutung, denen sich dieses
Gremium widmen und zu einer baldmöglichen Harmonisierung des Vertragswerkes mit
bundesdeutschem Recht beitragen soll. Diese ausgewählten Lebensbereiche sollen allerdings
lediglich exemplarisch verstanden werden, weil sie in ihrer Priorität nach unserem Verständnis
sehr weit oben stehen. Dies bedeutet gleichermaßen nicht, dass die restlichen
Handlungsabschnitte von weniger Dringlichkeit wären. Allerdings wollen wir uns in diesem
Brief beispielhaft auf Alltagssituationen von Menschen mit Behinderungen stützen, in denen es
aus unserer Erfahrung und täglichen Arbeit die größten Konflikte gibt. Gerade in diesen
Ansatzpunkten scheint es deshalb stellvertretend einer besonders zügigen Umsetzung von
Maßnahmen und Beschlüssen, denen sich die Enquete–Kommission insofern bevorzugt
zuwenden und gleichermaßen mit Nachdruck eine gesetzgeberische Initiative suchen soll.
Text: Dennis Riehle